Samstag, 2. Mai 2015
Erörterung: "Hier steh ich nun ich armer Tor..."
"Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor" Mit diesen Worten sagt sich Faust endgültig von der Scholastik ab und beschreibt damit passend in welcher Konfliktsituation sich Gelehrte seiner Zeit befanden. Allerdings spiegelt es ebenfalls die Meinung tausender Schüler in Deutschland wieder. "Ich bin fast 18 und habe keine Ahnung von Steuern, Mieten und Versicherungen. Aber ich kann´ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen.", besagt ein Zitat, was sich in den sozialen Medien an großer Beliebtheit erfreute. Ist unser Lernen tatsächlich sinnlos und unbrauchbar?
Schon früh fällt einem Faust-Leser auf, dass der Protagonist stark von sich selbst überzeugt ist. Faust hält sich für genial, geradezu übermenschlich. Seine Selbstverliebtheit kennt keine Grenzen. Dies trifft allerdings auch auf seine unbändige Wissbegierde zu. In Kombination dieser beiden Eigenschaften, entsteht, beim Realisieren seiner eigentlichen Unwissenheit und der Unmöglichkeit alle Geheimnisse der Wissenschaft aufzudecken ("Um zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält!"), eine unermessliche Wut auf die Scholastik und die Begrenzung seiner potentiellen Fähigkeiten durch das menschliche Dasein. Faust kann mit seinem Ego nicht vereinbaren, dass es Dinge gibt und immer geben wird, welche ihm und der Menschheit unbekannt bleiben werden. Überraschenderweise zeigt die Faustdichtung große Parallelen zur Theorie der Trauerphasen nach Verona Kast. Am Beginn des Buches befindet er sich bereits in der zweiten Phase, in der Faust extrem emotional reagiert (Wut, Verzweiflung, Selbstmordgedanken etc.). Auch einen Schuldigen, der von Betroffenen dieser Phase häufig gesucht werden, hat Faust gefunden: die Scholastik. Durch die Überwindung seiner Selbstmordgedanken schreitet er in die dritte Phase vor. In dieser versucht er verzweifelt eine Möglichkeit zu finden, obwohl im bewusst ist, dass es keine gibt (ähnlich der Suche nach Verstorbenen Freunden im echten Leben, d.h.: Festklammerung an Erinnerungen, Fotos etc., da das in der zweiten Phase Verstandene noch nicht verarbeitet werden kann.). Das erkennt man u.a. bei der Beschwörung des Erdgeistes. Nun geschieht etwas, was im echten Leben nie zu treffen wird. Der Tote wird erweckt. Durch Mephisto findet Faust eine neue Möglichkeit sein Ziel zu erreichen und seine verstorbenen Vorstellungen seines Allwissens wiederzubeleben.
Doch Faust ist zweifelsohne keine arroganter Sonderling, der dem Leser von Anfang an unsympathisch ist. Im Gegensatz zu seiner selbstverliebten Seiten, spürt man sogar Verständnis für ihn. Wer wäre denn nicht verzweifelt, wenn sein Sinn des Lebens niemals erfüllt werden kann? Ich bin der Meinung, dass dieses Allwissen, welches Faust sich aneignen möchte, eine Metapher für jegliches Problem, was unlösbar erscheint, darstellt. Auf Grund dieses Gedankens wirkt die Figur des Fausts auch so lebendig. Man erkennt sich selbst in Faust. Man fühlt mit ihm, da man im Leben selbst sehr häufig vor unüberwindbaren Hürden steht. Auf diese Erkenntnis folgt allerdings eine weitere, welche etwas deprimierend wirkt. Im echten Leben wird kein Mephisto erscheinen und dich über die Hürde tragen. Goethe gibt seinem Faust also die Change die Hürde des menschlichen Daseins zu überschreiten und seine fehlenden Möglichkeit mit Mephistos Fähigkeiten zu ergänzen. Die Ambivalenz ist perfekt. Faust und Mephisto, welche unterschiedlicher nicht sein könnten, ergänzen sich gegenseitig um die Hürden zu überfliegen und dem Leser eine Welt, ohne diese aufzuzeigen.
Faust zeigt klar die Grenzen der Scholastik auf. Durch bloße Arbeit an Schriften ist es unmöglich neues Wissen zu erlangen. Diese Aussage ist rein logisch gesehen korrekt, da neue Informationen nicht sturzbachartig aus alten heraussprudeln. Irgendwann ist die Quelle versiegt und die Schriften verbraucht. Dennoch sollte die Scholastik nicht vollständig abgelehnt werden. Sie dient vielleicht nicht der Entwicklung neuen Wissens, aber dafür der Verbreitung von grundsätzlichem. Jegliche Information, die wir aufnehmen, erfolgt (vorausgesetzt es handelt sich um keine eigene Erfahrung) auf scholastische Art und Weise. Sämtliche Medien oder auch das Bildungssystem beruhen auf der scholastischen Informationsverbreitung. Diese immense Bedeutung wird sich auch in ferner Zukunft nicht ändern können. Dennoch wird diese Methode des Lernens (insbesondere im schulischen Bereich) schon seit längerer Zeit von Pädagogen und anderen Experten angeprangert, da durch das bloße Auswendiglernens die Information recht schnell wieder in Vergessenheit gerät, da man sie entweder nicht mehr benötigt oder keine spezielle Erfahrungen mit dieser in Verbindung gesetzt hat. Auf diese Weise wirkt der Schulunterricht an manchen Stellen unattraktiv oder sogar langweilig für viele Schüler, da diese sich mit Themen auseinandersetzen müssen, die sie nicht durch eigene Interesse, sondern vom gesellschaftlichen Druck (gute Noten -> guter Beruf ->viel Geld ->sichert dein Überleben...) zur Aufmerksamkeit gezwungen werden. Um diese Problematik zu verbessern, benötigt man in meinen Augen allerdings nicht nur eine Reform im Bildungssystem, sondern in der kompletten gesellschaftlichen Einstellung, was aber volkommen utopisch und unrealistisch wäre.
Von der Geburt an, beginnt der Mensch zu lernen. Ganz unbewusst nehmen wir neue Informationen auf und verarbeiten diese. Selbst die alltäglichsten Dinge wie Sprechen, Körperhygiene, Essgewohnheiten usw. sind nicht von Anfang an im Verstand gespeichert. Diese Dinge werden durch das Verhalten und Gewohnheiten der Eltern auf die Kinder übertragen. Daraus folgt, dass ohne Lernen die technologische und gesellschaftliche Stufe ,auf der wir uns jetzt befinden, unerreichbar wäre. Jeder kleinste Fortschritt wäre in der nächsten Generation wieder verloren. Wir benötigen also die Fähigkeit zu lernen, um die Arbeit und Erkenntnisse unserer Vorfahren zu speichern bzw. zu optimieren. Zur Optimierung muss man sich dann aber vom Altbekannten lösen und neue Entdeckungen anstellen. Die Kombination aus dem Alten und dem Neuen, dem Bekannten und dem Fremden, bringt die Menschheit weiter und lässt sie Hürden überwinden, welche vorher noch unüberwindbar erscheint haben (z.B.: der Traum vom Fliegen). Im echten Leben wird kein Mephisto erscheinen; da er im Form des eigenen Forscherdrangs schon in uns vorhanden ist.

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